Otto Paul Burkhardt in NZfM 4-25:
Zuerst erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 4/2025, © Schott Music, Mainz 2025 – https://musikderzeit.de/
DOROTHEE SCHABERT – HÖRLANDSCHAFTEN
Wolfgang Güttler, Kontrabass; Gregor Dierck und Benjamin Spillner, Violine;
Ensemble Resonanz, Ensemble Aventure
NEOS 12501
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Ihre Musik arbeitet mit ausgesucht wenigen, elementaren Materialien, deren Potenziale und Veränderungen erkundet und erlauscht werden. Klänge, die somit eine andere Dimension der Zeit eröffnen. HörLandschaften – so nennt die 1952 geborene Komponistin Dorothee Schabert, bis 2017 Tonmeisterin bei SWF und SWR, ihr Porträtalbum mit fünf Stücken zu diesem Themenkreis. Doch
es geht nicht um Abbildung oder Narration. Schaberts Mu sik lässt sich eher mit dem Begriff Nachklang beschreiben, als seismographisches, abstrahiertes, feinnerviges Destillat aus Echo, Erinnerung, Stimmung, Betrachtung und Imagination. Die ihr wichtigen realen Landschaften, auf die sich die 2008 bis 2019 entstandenen Stücke beziehen, sind abgelegene, einsame Gegenden – ein Tal im französischen Massif Central, eine ländliche Region im Süden Siziliens
oder ein Nationalpark der Sami in Schweden nördlich des Polarkreises.
Nachklang I «Padjelanta» für Streichquintett verweist auf diese Landschaft
in Nordschweden, auf eine lange Wanderung dort. Schaberts äußerst reduzierte Re-Imagination, vom Ensemble Re sonanz ausdrucksstark inszeniert, beginnt mit tiefen, schroffen, blockartigen Septimen, aus denen sich hohe, vibrierende Töne lösen.
La Vallée des Mandailles für Holzbläser und Percussion mutet trotz der Verortung in Frankreich mit klingenden Metallschalen fast fernöstlich an, noch dazu in der kalligraphischen Feinzeichnung durch das Ensemble Aventure. Klagetöne und ein angedeuteter Trommelumzug münden hier in eine kurze Anmutung von Chopins Marche funèbre – eine momenthafte, surreale Koinzidenz von Natur und Kultur.
Im Kontrabass-Solo Musica insabbiata mit Sizilien-Bezug entdeckt Wolfgang Güttler zwischen Schraffuren und Schwebungen zarte, fragile Ansätze von Flageolett-Melodik.
Und Nachklang II «Länsträffiken» für Streichquintett bezieht sich wieder
auf den weitläufigen Sami-Park und eine einschläfernde Heimfahrt im
schaukelnden Bus. Die Musik, die das Ensemble Resonanz in langsam kreisenden Terzglissandi als TraumReminiszenz ausbreitet, bewegt sich
in einem halbwachen Zwischenzustand.
Das Duett Being Human, kontrastreich belebt von den Resonanz-Violinisten, lässt sich als Hommage an die Bourgogne lesen, die aber titelgemäß tiefer zu loten versucht. Glissandierende Bögen werden jäh unterbrochen von harschen, geräuschhaften Attacken. Schließlich Saggat, betitelt nach dem samischen Wort
für See: Diese Studie für Holzbläser-Sextett entfaltet sich beim spannungsvoll agierenden Ensemble Aventure aus einem Gegensatz – hier ein bizarr trötender Fortissimo-Mehrklang, dort ein leises Ein-Ton-Psalmodieren der Tenorblockflöte, später ergänzt durch Slaps in Oboe und Fagott. Im Verlauf
scheint gar ein visionäres Moll auf, freilich in mikrotonal schwankender,
labiler Balance.
Das rundum gelungene Album porträtiert mit Dorothee Schabert eine Komponistin, deren Handschrift, in Distanz zu gängigen Idioms, individuell konturiert ist. Eine sehr lauschintensive, häufig in minimalen Schattierungen changierende Musik – hier präsentiert in fünf exzellenten Ersteinspielungen.
Violeta Dinescu zu „Arachne“ (6.12.2021) : du hast ein wunderbares stück geschrieben, es verräumlicht und verzaubert den raum, und es ist einfach auch eine einladung, kreativ zu sein und nicht zuletzt auch durch die kreierte atmosphäre (zaberhaft in freiburg) eine wohltuende einladung für meditation, ruhe….ohne dass man eine meditationstechnick anwenden braucht. …weniger ist mehr….kann man sagen und du hast geschafft durch das minimum am material ein kosmos der klänge hervorzurufen….
Max Nyffeler (Musikjournalist), 31.12.2019: „Der verlinkte Artikel (im VAN magazin) war informativ und machte mich neugierig, und beim Hören der eingefügten Musikbeispiele wurde mir klar, dass er nicht zu viel versprochen hatte. Die drei Stücke sind wirklich spannend zu hören und haben einen unverwechselbaren Charakter, anders als manches, was Routinekomponisten bei den Festivals so abliefern und was man blitzschnell wieder vergisst. Man merkt, dass da eine Person an der Arbeit ist, die hören kann und jeden Ton ernst nimmt. Ihre Musik hat etwas mitzuteilen, und deshalb hört man ihr gerne zu. … „
„Von der Raumaufstellung zur kompositorischen Räumlichkeit zu RaumMusik.“ – in Neue Zeitschrift für Musik 2/2024 – Dorothee Schabert im Gespräch mit Prof. Michael Harenberg
„Immer wieder der Raum“ – Interview mit dem VAN magazin
25.9.2019 Ein Porträt der Komponistin Dorothee Schabert. Text: Jeffrey Arlo Brown, Illustration: Carine Kuntz.
„wegbereiterinnen“ – sendungen vom 16. und 23. mai 2019, SWR 2 Musik
Die zwei Konzerte mit Lesung „Wegbereiterinnen“ präsentieren vergessene Frauen aus der Geschichte – mit starken Frauen aus der Gegenwart.
Musikgespräch – SWR2 Treffpunkt Klassik
03.05.2019 Gesprächsrunde aus Schwetzingen: Ideengeberin Dorothee Schabert und Katharina Bäuml, Leiterin des Ensembles Capella de la Torre sprechen mit SWR2 Moderatorin Ines Pasz über die Veranstaltung „Wegbereiterinnen“ bei den Schwetzinger SWR Festspielen.
Portrait-Sendung vom 17.04.2018, SWR 2 Musik
https://soundcloud.com/user-460333580/portrait-dorothee-schabert
Wenn jemand eine Sinfonie von Louise Farrenc ablehnt und stattdessen ein richtig schlechtes Stück von Beethoven spielen lassen will – dann kann die Person mir nicht sagen, dass es um die Qualität der Stücke geht.«
Warum gibt es noch immer so wenig Komponistinnen auf den Konzertprogrammen öffentlich geförderter Orchester? von Merle Krafeld 17. November 2021
https://van-magazin.de/mag/komponistinnen-2021/
Weblinks:
https://villamassimo.de/de/stipendiaten/dorothee-schabert
https://komponistinnen.org/artists/schabert-dorothee/
https://www.arttourist.com/kunst/coronaesgehtwas/kuensterliste/dorothee-schabert.html